Mehr Schein als Sein - der „kranke“ Arbeitnehmer und die Online-AU

Dr. Andreas Bierich informiert über eine aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm: Eine AU-Bescheinigung, die ohne vorherige ärztliche Begutachtung eingereicht wird, kann schwerwiegende arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.

Wird ein Arbeitnehmer krank, braucht er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
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Mit dem Verfahren der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) brauchen Arbeitnehmer ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht mehr beim Arbeitgeber vorlegen. Seit ihrer Einführung im Jahr 2023 hat sich die eAU mittlerweile etabliert. Allerdings werden von Arbeitnehmern auch AU-Bescheinigungen ohne vorherige ärztliche Begutachtung eingereicht. Diese entsprechen nicht den in der „Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie“ des Gemeinsamen Bundesausschusses festgeschriebenen Anforderungen und berechtigen daher nicht zu einem Entgeltfortzahlungsanspruch. Die Vorlage einer solchen AU-Bescheinigung durch den Arbeitnehmer kann schwerwiegende arbeitsrechtliche Konsequenzen haben, wie eine aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm verdeutlicht (Urteil vom 05.09.2025, Az.: 14 SLa 145/25). 

Der Fall: Ein Arbeitnehmer war als IT-Berater seit dem Jahr 2018 bei einem Unternehmen beschäftigt. Vom 19.08.2024 bis zum 23.08.2024 meldete er sich arbeitsunfähig krank. Über eine Internetseite beschaffte sich der Arbeitnehmer eine kostenpflichtige AU-Bescheinigung, die optisch dem früheren „gelben Schein“ ähnelte. Zur Erlangung der Bescheinigung füllte er einen Fragebogen aus mit den Symptomen der Erkrankung, der ausgeübten Tätigkeit, die Beanspruchung bei der Arbeit sowie dem Genesungsverlauf. Ein persönlicher Arztkontakt – weder in Präsenz noch per Video oder Telefon – fand nicht statt. Nachdem der Arbeitgeber Kenntnis von der unwirksamen Krankschreibung erlangt hatte, kündigte er am 18.09.2024 fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin.

Der Arbeitnehmer wehrte sich gegen die Kündigung und erhob eine Kündigungsschutzklage mit dem Ziel seiner Weiterbeschäftigung. Während das Arbeitsgericht Dortmund als Gericht erster Instanz zunächst der Klage stattgab, hob das LAG Hamm das Urteil auf und wies die Klage ab. Das Verhalten des Klägers sei „an sich“ geeignet gewesen, einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Denn der Kläger habe durch Vorlage der AU-Bescheinigung bewusst wahrheitswidrig den Eindruck erweckt, er habe im Rahmen der Feststellung der AU Kontakt mit einem Arzt gehabt. Schon allein dieser Umstand sei ein erheblicher Vertrauensbruch. Der wichtige Grund sei auch im Einzelfall geeignet gewesen, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Der Vertrauensbruch sei gravierend, da die Beklagte als Arbeitgeberin vollständig den Feststellungsprozess einer Erkrankung in die Hände des Arztes legen muss und ihm dabei vertrauen muss. Wenn ein Arbeitnehmer dieses System bewusst umgeht und ein Attest „erkauft“, untergrabe er dieses Vertrauen in besonderem Maße. Vor diesem Hintergrund komme es nicht mehr darauf an, ob der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig krank gewesen sei. Der Ausspruch einer vorherigen Abmahnung war, so das Gericht, entbehrlich. Der Arbeitnehmer hätte wissen müssen, dass sein Verhalten – ein vorsätzlicher Vertrauensbruch – vom Arbeitgeber nicht hingenommen werden kann.

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