Symbolbild Kündigung des Arbeitsvertrags
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Dr. Bierich informiert"Männer der Tat" auf dem Bau - rauer Ton entschuldigt keine sexuelle Belästigung

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz unter Kollegen ist leider keine Seltenheit und insbesondere keine Lappalie gegenüber dem Betroffenen. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine sexuelle Belästigung "an sich" geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu bilden, der den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigt. Allerdings muss der Arbeitgeber - wie bei jeder verhaltensbedingten Kündigung - zunächst das Ergreifen anderer arbeitsrechtlicher "milderer" Mittel wie Abmahnung, Umsetzung oder ähnliches in Betracht ziehen. Diese vorzunehmende Interessenabwägung kann im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zur Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung führen, wie eine aktuelle Entscheidung des Arbeitsgerichts Weiden (Urteil vom 13.03.2023, Az.: 3 Ca 556/22) verdeutlicht.

Der Fall: Ein beim später beklagten Handwerksbetrieb seit 2018 beschäftigter Maurer - der Betrieb fällt unter das Kündigungsschutzgesetz - leistete sich am 09.08.2022 einen groben "Scherz" unter Kollegen: Er öffnete auf dem Betriebsgelände die Fahrertür des Fahrzeuges des Kollegen M., machte seine Hose auf und hängte seine Genitalien in das Getränkefach der Tür. Dabei tat der Arbeitnehmer durch seine Haltung und Geräusche so, als verrichte er seine Notdurft in das Fahrzeug. Der Vorfall wurde von einigen Kollegen, die später vom Gericht als Zeugen geladen wurden, beobachtet und auf einem Video festgehalten. Vorab hatte der spätere Kläger den Kollegen M. als Schwein bezeichnet. Der Arbeitgeber kündigte, nachdem er Kenntnis von dem Vorfall erhalten hatte, das Arbeitsverhältnis am 18.08.2022 fristlos.

Zu Unrecht, so das Arbeitsgericht Weiden und verneinte das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Zwar habe der Kläger ein grob respektloses und beleidigendes Verhalten gegenüber dem Kollegen M. gezeigt und die Zeugen mit seiner "Aktion" behelligt. Sämtliche Beteiligte seien damit in ihrem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verletzt worden, nämlich darüber selbst zu entscheiden, ob sie von einem anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert werden wollen oder eben nicht. Allerdings sei jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei den Beteiligten eher um "Männer der Tat" handelt und in der Baubranche ein rauerer Umgangston herrscht als beispielsweise in einer Bank - was allerdings nicht bedeutet, dass jede Herabwürdigung folgenlos bleibt. Zudem hätten die Zeugen - wie auf dem Video zu sehen - gelacht und hätten weder entrüstet noch betroffen gewirkt.

Im Ergebnis sei das Verhalten des Klägers eine Vertragsverletzung von erheblichem Gewicht, aber auch bei näherer Betrachtung der Gesamtumstände nicht ganz so drastisch wie arbeitgeberseitig angenommen. Im Ergebnis rechtfertigte das Verhalten des Klägers allerdings nach Auffassung des Gerichts eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zum 30.09.2022, in die die fristlose Kündigung umgedeutet wurde. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen sei es dem Arbeitgeber nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es aufgrund der Gesamtumstände nicht - der Arbeitgeber musste nicht zuletzt zur Wahrung des Respekts, Betriebsfriedens und seines Ansehens mit einer Kündigung reagieren.

Achtung: Arbeitgeber sind nach § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gerade verpflichtet, Arbeitnehmer vor sexuellen Belästigungen zu schützen und gegebenenfalls auch angemessene Maßnahmen zu ergreifen.



Dr. jur. Andreas Bierich, Fachwanwalt für Arbeitsrecht
Schmitz / Handwerkskammer
Dr. jur. Andreas Bierich, Fachwanwalt für Arbeitsrecht



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